Prof. Dr. Hans-Gert Penzel, Foto: ibi Research GmbH

Das Wettbewerbsumfeld der Banken ist derzeit von einer Dynamik geprägt, wie es sie in dieser Form seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Sichtbarster bzw. prominentester Ausdruck dieses Struktur- und Stilwandels sind die Fintech-Startups, die auch in Deutschland in den vergangenen Jahren an Zahl deutlich zugenommen haben. Daneben sorgen die fortschreitende Digitalisierung und die Regulierung, wie PSD2, für einen hohen Anpassungsdruck. Die Erträge können mit den Kosten kaum noch Schritt halten. Neue, branchenfremde Anbieter, wie die großen Digitalen Plattformen (Apple, Google, Amazon, Alibaba), haben bereits wichtige Schnittstellen zum Kunden besetzt. Wie können die Banken darauf reagieren, welche Alternativen gibt es, um sich als vertrauenswürdiger Intermediär für die Kunden zu positionieren? Welche Auswirkungen auf die Branche könnte die Blockchain haben? Diesen Fragen stellt sich Prof. Dr. Hans-Gert Penzel vom renommierten ibi Research Institut der Universität Regensburg. Prof. Penzel (Foto) und sein Team verfolgen die Entwicklungen im Banking sowohl aus wissenschaftlicher wie auch aus Sicht der Praxis. 

Herr Prof. Dr. Penzel, was sind die Forschungsschwerpunkte von ibi research – wie ist die Gewichtung zwischen Theorie und Praxis?

Wir sehen uns als Vordenker für digitale Innovationen, genau auf halber Stecke zwischen Wissenschaft und Praxis: Wir forschen mit den Methoden der Wissenschaft – objektiv, analytisch, mit großer Tiefe – an den zukünftigen Themen der Praxis. Wir konzipieren umsetzbare Lösungen bis hin zu Prototypen und Piloten. Das machen wir im Bereich der Digitalisierung der Finanzdienstleistungen genauso wie im Bereich der Digitalisierung des Einzel- und Großhandels.

Wird die Bedeutung der Digitalisierung, wie überhaupt der Technologie, im Banking überschätzt; gibt es noch andere, evtl. gleichgewichtige Faktoren?

Es gibt drei dominierende Treiber der Veränderung: Niedrigzinssituation, zunehmende Regulation und Digitalisierung. Jeder Treiber ist für sich gewichtig und hat massiven Einfluss auf das Banking der Zukunft. Aber darüber hinaus verstärken sich die drei Treiber gegenseitig. Beispiel: Mit der Digitalisierung steigen Transparenz und Möglichkeit des Kunden, bei der unbefriedigenden Zinssituation nach Anlagealternativen zu forschen und diese auch jenseits der Hausbank zu finden. Oder: Mit der Digitalisierung können die Regulatoren ganz andere Stellhebel einsetzen, zum Beispiel erstmals realistische und umfassende Stresstests fahren.

Welche Rolle übernehmen die Fintech-Startups bei dem Struktur- bzw. Stilwandel der Bankenbranche?

Kurz zusammengefasst: Sie haben eine Revolution ausgelöst, die für die Kunden nachhaltige und positive Auswirkungen hat. Aber diese Revolution wird ihre eigenen Kinder fressen. Die meisten FinTechs werden also untergehen; sie opfern sich sozusagen für eine gute Sache.

Etwas konkreter: FinTechs haben gezeigt, wie komfortabel die Schnittstellen zwischen Kunden und Bank aussehen können. Sie haben auch neue Produkte salonfähig gemacht, zum Beispiel die Indexfonds (ETFs), die den Kunden deutlich bessere Nettoerträge liefern als aktiv gemanagte Fonds, die allerdings die Erträge der Banken deutlich dezimieren. Aber die FinTechs haben es nicht geschafft und werden es auch nicht schaffen, die Breite der Kundschaft zu sich zu ziehen. Denn die Banken legen nach, bieten zunehmend den Komfort und – mit zusammengebissenen Zähnen – auch die für sie weniger profitablen Produkte der FinTechs an.

Die meisten FinTechs werden deshalb untergehen, einige besonders Gute werden überleben, weitere werden gekauft und integriert werden – genau wie wir es aus früheren Innovationswellen kennen. Aber die FinTechs haben dauerhafte Effekte initialisiert, Transparenz erhöht, dabei das Ertragsniveau für alle Banken nachhaltig reduziert – zugunsten der Endkunden, die von entsprechend höheren Erträgen profitieren.

Verwandeln sich Banken künftig in reine Technologieunternehmen; werden wir künftig nur noch Digitale Banken kennen?

Nein, das wäre zu kurz gesprungen. Gerade anspruchsvolle und ertragreiche Kunden brauchen auch in Zukunft für komplexe Fragestellungen eine sehr differenzierte Beratung. Das erfordert eine Mischung aus umfangreichen Wissen und viel Einfühlungsvermögen – und das schafft so schnell kein Computer. Aber selbst die Mehrzahl der Durchschnittskunden, der nur einmal im Leben eine Immobilie kaufen und dabei eine Entscheidung mit enormen Auswirkungen treffen, ist mit dem Online-Abschluss eher überfordert.

Für alle Routinetransaktionen werden die Mengenkunden aber in die Digitalisierung drängen oder gedrängt – selbst diejenigen, die es gar nicht wollen. So wie die Lufthansa ihre Economy-Class-Kunden vor einigen Jahren unweigerlich an den Checkin-Automaten gezwungen hat.

Wie bewerten Sie den Einfluss der Blockchain-Technologie auf das Banking der Zukunft?

Blockchain ist eine wirklich faszinierende Technologie. Aber nun wird auch dem größten Enthusiasten klar: Sie wird nicht jeden Intermediär ablösen, insbesondere nicht die Banken. Im Grunde ist es sogar höchst ineffizient, Daten zur Sicherstellung der Unverfälschbarkeit auf Tausende von Netzknoten zu verteilen, wenn man sie stattdessen einfach einem zuverlässigen Treuhänder übergeben kann.

Die Blockchain ist insbesondere dort entbehrlich, wo wir heute ausgesprochen kostengünstige Lösungen mit etablierten Treuhändern haben, also zum Beispiel im Massenzahlungsverkehr. Die Blockchain kommt aber auch dort an ihre Grenzen, wo der Treuhänder nicht nur die technische Funktion der unverfälschten Ablage übernimmt, sondern auch qualifiziert berät. Beispiel Notar: Er geht auf Sie persönlich ein und erklärt Ihnen die Pros und Contras von Formulierungen in Ihrem Immobilien-Kaufvertrag; Sie können ihn auf absehbare Zeit nicht durch ein Stück Software ersetzen.

Natürlich bleibt ein Lösungsfeld für die Blockchain, das weder zu hohe Performance- noch zu hohe Erklärungsanforderungen stellt. So werden wir wohl recht bald Transaktionen von Wertpapierkauf und -settlement oder auch Akkreditive im Tagesbetrieb auf der Blockchain erleben. Aber die Banken werden das anbieten, kaum neue Dritte.

Ist die Payments Service Directive (PSD2) eher eine Bedrohung für die Banken oder eine Chance?

Beides – je nachdem, wie die Banken sie einsetzen. Verlieren werden diejenigen, die die PSD-2 nur als Umsetzung von Regulation begreifen. Gewinnen werden jene, die sie für die strategische Positionierung nutzen und in einen größeren Vertriebsansatz einbetten.

Das Zauberwort heißt Personal Finance Management (PFM): Kluge Banken werden ihren gehobenen Kunden das PFM nicht nur als technisches Tool zur Verfügung stellen. Stattdessen werden ihre Berater PFM im Beratungsgespräch mit den Kunden einführen, erklären, ihm bei der Klassifikation der Ausgaben helfen. Dann können sie ihre Kunden auch überzeugen, für das PFM die Konten bei anderen Banken freizugeben, um ein rundes und vollständiges Bild zu produzieren. Im nächsten Schritt wird der Kunde seinen vertrauten Berater vielleicht sogar mit der Auslösung von Zahlungen aus anderen Banken heraus betrauen, so dass der Berater zum Beispiel das Anlageportfolio optimieren kann. Im Extremfall kann er dafür die Konten des Kunden bei anderen Banken leerräumen. Wenn im nächsten Jahr Instant Payments kommen, kann die Drittbank nicht einmal mehr untertägig mit einem Gegenangebot reagieren, wenn sie den noch nicht ausgeführten Überweisungsauftrag vor dem klassischen Buchungsschnitt sieht. Denn das Geld ist längst weg. 

Wer als Bank solche übergreifenden Ansätze hinter der PSD-2 nicht erkennt oder schlicht zu langsam in der Realisierung ist, wird das Nachsehen haben. Hier wird sich recht zügig die Spreu vom Weizen trennen.

Wird die Umsetzung der PSD2 die Entstehung neue Anbieter, wie Identity Broker oder Identity Banks, begünstigen?

Die PSD-2 ist nicht die alleinige Ursache, wohl aber ein zusätzlicher Treiber in Richtung Identity Brokerage. Ich glaube allerdings, dass die Banken eine Riesen-Chance haben, dieses Feld selbst zu besetzen. Bei allem Misstrauen gegen „die Banken“ ist es doch bemerkenswert, wie hoch das Vertrauen gegenüber der eigenen Hausbank nach wie vor ist. Was liegt näher, als dass diese Hausbank auch zum Hort für die Währung des digitalen Zeitalters, also vertrauliche Daten wird?

Der elektronische Tresor mit solch vertraulichen Daten – weit über reine Finanzdaten hinaus – könnte aus Sicht der Kunden recht gut bei seiner Bank untergebracht sein. Und dann sollte die Bank auch die nötigen Umfeldservices zur Verfügung stellen. Das ist natürlich die Zertifizierung der Identität. Es ist aber auch die – vom Kunden explizit zu autorisierende – Weitergabe einzelner Daten zu eingeschränkten Zwecken für eingeschränkte Zeit an Dritte, damit diese dem Kunden zum Beispiel ein gezieltes Immobilienangebot machen können. Konstrukte wie die Blockchain können übrigens helfen, dass sich diese Daten nach der definierten Zeit selbst vernichten – sozusagen eine erweiterte Variante von Snapchat. Hier tun sich neue Geschäftsmodelle auf, die den Kunden Nutzen und den Banken Zusatzerträge bringen können.

Wenn Daten die neue Währung sind bzw. sein sollten: Welche Anpassungen am Geschäftsmodell der Banken sind durch die Datenökonomie erforderlich?

Genau die Anpassung, die ich beschrieben habe: Banken könnten zum Hort der vertraulichen Daten werden. Sie könnten eine Vielzahl von Services rund um diese Daten anbieten. Sie könnten sogar zu Trägern des „Customer Consent Management“ werden: Im Auftrag des Kunden stellen sie streng ausgewählte Teile der Daten nach Zweck und Zeit limitiert an Dritte zur Verfügung. Sie verpflichten die Dritten, diese Daten anschließend wieder zu löschen, und sie kontrollieren dies nach besten Möglichkeiten. Diese Kontrolle könnte durch Einbindung der Daten in Smart Contracts auf Basis der Blockchain übrigens deutlich einfacher werden.

Wie können sich die Banken gegen die großen Digitalen Plattformen wie Apple, Google, Alibaba und Amazon behaupten?

Zweifellos können Google, Alibaba, Facebook und Amazon in Zukunft einen Finanzsupermarkt mit den besten Preisen bieten, wenn sie das wollen. Aber sie haben alle eines gemeinsam: Kunden dieser Plattformen sind die Anbieter, die Werbung schalten und Finanzservices verkaufen wollen. Kunden sind nicht die Menschen wie Sie und ich. Wir sind pure Objekte, aus denen man die Daten herauskitzelt – je mehr und schneller, umso besser.

Zumindest in Europa haben größere Kundengruppen – besonders die kaufkräftigen Kunden – damit ein zunehmendes Problem. Hier haben die Banken eine echte Chance, Zentrum der Finanzdienstleistung zu bleiben und vielleicht sogar Zentrum für das Management weiterer vertraulicher Daten zu werden. Natürlich müssen sie gute Services leisten. Dann erlaubt man ihnen sogar, etwas teurer zu sein.

Bei Apple sieht es übrigens etwas anders aus: Apple zieht seine hohen Gewinnmargen aus der im Wettbewerbsvergleich sehr teuren Hardware, braucht also bisher die Datensammlung nicht als Ertragsquelle. Das würde sich erst ändern, wenn die Kunden Apple nicht mehr als Innovationsführer verstehen und die hohen Hardware-Preise nicht mehr zahlen.

Das Internet kennt kein Regionalprinzip: Was folgt daraus für die Regionalbanken?

Denken Sie mal an Ihren Steuerberater: Sie finden ihn normalerweise im Zuge ihres ersten oder zweiten Arbeitsverhältnisses, in der Regel lokal in der Nähe. Sie behalten ihn ein Leben lang, egal wohin Sie ziehen.

Genauso sucht sich die Mehrzahl der Kunden früh eine Bank, und oft genug ist das nach wie vor eine Regionalbank. Wenn deren Online-Angebot in Ordnung ist, spricht ja nicht dagegen, es von überall aus zu nutzen, wo immer Sie auch hinziehen. Dass man dabei nicht das Regionalprinzip anwenden kann, ist auch bei den Sparkassen und Volksbanken angekommen. Insofern haben die Regionalbanken gewisse Vorteile bei der Erstakquise und beim frühen Aufbau von Vertrauen und Bindung. Sie dürfen sie aber nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass sie ein unterdurchschnittliches Online-Angebot zur Verfügung stellen. 

Wie können Banken sich künftig im Wettbewerb differenzieren?

Banken müssen „3+1+1“ Dinge herausragend tun und dabei ihre Kernkompetenz „Vertrauen“ voll ausspielen.

Erstens müssen sie den Kunden eine wirklich gute Gesamtsicht auf ihre Finanzen bieten, technisch gesehen mit einem PFM unter Einbindung aller Bank- und Finanzbeziehungen, vor allem aber mit entsprechendem Berater-Engagement bei der Klassifizierung der Zahlungen. Zweitens müssen sie in Anlage und Finanzierung aus Kundensicht beraten und z.B. auch Anlagen in ETFs empfehlen – auch wenn das auf der Ertragsseite weh tut. Drittens müssen sie alle Transaktionen problemlos abwickeln. Das Ganze komfortabel, zu angemessenem Preis (keineswegs umsonst!) und höchst sicher.

Das Vierte ist die Erweiterung des Geschäftsmodells: Banken sollten alles tun, um Hort vertraulicher Informationen zu werden, sozusagen die Meister im Customer Consent Management zu werden.

Fünftens müssen Banken systematisch Kosten senken. Der Overhead in den Zentralen ist deutlich zu groß, das Filialnetz ebenfalls.

Das Meiste davon mag selbstverständlich erscheinen, ist es aber nicht. Wer hier besser und schneller ist als andere Banken, wird erfolgreich sein, die anderen werden vom Markt verschwinden.

Wie könnte das Banking in fünf Jahren aussehen?

Fünf Jahre sind schnell vorbei, da wird all das in die Wege geleitet sein, was ich oben beschrieben habe. Aber in zehn Jahre wird sich die Spreu vom Weizen getrennt haben: Die Zahl der Banken wird sich halbiert haben, die Zahl der Filialen wird auf weniger als die Hälfte geschrumpft sein. Die dann noch bestehenden Banken werden deutlich kundenorientierter operieren.

Herr Prof. Dr. Penzel, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview erschien zuerst auf Bankstil

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