Marc Rohlfing. Foto: Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF)

Angesichts der Zahl neuer Technologien, die für sich beanspruchen, “disruptiv” zu sein, kann der Überblick schnell verloren gehen. Insofern ist es gut, wenn man jemanden trifft, der hier Orientierung geben kann, wie Marc Rohlfing (Foto). Der Dozent, IT-Berater und Technologiescout (LaudableGuru) verfolgt die Entwicklungen auf dem Gebiet neuer Technologien (3D-Druck, Machine Learning, Augmented Reality, Blockchain) und ihrer möglichen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft aus nächster Nähe. Regelmäßig spricht er in der Veranstaltung Rohlfing redet – im größten Computermuseum der Welt, im Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF), über die aktuellen Technologietrends. Im Gespräch mit diesem Blog gibt Rohlfing Auskunft zum aktuellen Stand der Entwicklung und wagt einen Ausblick auf die nähere Zukunft. 

  • Herr Rohlfing, Sie sind als Dozent, IT-Berater und Technologiescout tätig. Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich in letzter Zeit besonders intensiv?

Das alles bestimmende Thema, an dem derzeit niemand vorbeikommt, ist – und wird wohl auch angesichts der Möglichkeiten noch eine Weile so bleiben – sicherlich Maschinenlernen. Die Konsequenzen, vor allem wenn diese Techniken in dedizierter und miniaturisierter Form direkt innerhalb unserer Geräte verbaut werden, sind noch gar nicht abzusehen.

Zunehmend rücken auch und gerade dabei für mich – und das mag der Weltlage ebenso wie meinem eigenen Älterwerden geschuldet sein – allerdings Fragen nach den sozialen und soziologischen Auswirkungen in den Fokus. Etwa ob „das Internet wenn nicht gleich unser Gehirn verändert, so doch dauerhaft eine andere Aufmerksamkeitsökonomie durchgesetzt hat, die sich nicht rückgängig machen lässt.“ (vgl. Avenassian 2017: 14).

  • Die Klagen darüber, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung den Anschluss verliert, nehmen zu. Ist die Sorge berechtigt?

Ich neige, schon von Berufs wegen, nicht zum Pessimismus – aber die Sorge ist definitiv berechtigt. Viel zu lange haben wir hierzulande so getan, als ließe sich die vergangene Erfolgsgeschichte einfach fortschreiben. Haben Verantwortliche in Politik und Wirtschaft – letztere notfalls mit Betrug – auf inkrementelle Verbesserungen und Verfeinerungen des Bewährten gesetzt, also auf Evolution

Wir haben es bei der Digitalisierung aber mit einer Revolution zu tun, für die jetzt die Weichen gestellt werden müssen. Also anstatt die schwarze Null als Monstranz vor uns herzutragen, bräuchte es dringend Investitionen. Investitionen in Netzinfrastruktur auf der einen, und in Bildung in Form von Lehrern und Schulen auf der anderen Seite.

  • Wie kann die deutsche Industrie, und hier vor allem der Mittelstand, ihre Stärken in der Hardware in die digitale Welt überführen – welche Rollen könnten der 3D-Druck und die Augmented Reality dabei spielen?

Welche Rolle 3D-Druck, Augmented Reality oder andere Buzzwords in der Zukunft spielen ist notorisch schwer vorherzusagen – aber um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie und des Mittelstandes mache ich mir keine Sorgen; vorausgesetzt, siehe vorherige Frage, wir installieren endlich überall vernünftig schnelles Internet und geben der Bildung den Stellenwert, der ihr in einem Land ohne andere Ressourcen als den Menschen die hier leben und arbeiten gebührt.

  • Werden wir demnächst fast menschenleere Fabriken und Büros haben – können Roboter und Softwareagenten den Menschen auf absehbare Zeit ersetzen?

Nein, das denke ich nicht. Weder auf absehbare Zeit noch überhaupt. Historisch haben neue Technologien Arbeitsplätze nicht verschwinden lassen, sondern verschoben: seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind zum Beispiel bei der amerikanischen Eisenbahn 250.000 Jobs abgebaut– und dafür 300.000 Arbeitsplätze in der Luftfahrt geschaffen worden. Das ist natürlich für den Einzelnen, der von einer solchen Verlagerung betroffen ist, nicht leicht. Nicht jeder, der Kohlen schaufeln kann, kann auch Flugzeuge reparieren. Neu entstehende Jobs sind tendenziell hochwertiger, umso wichtiger die schon erwähnte Aus- und Weiterbildung.

Roboter und Softwareagenten werden als Werkzeuge aber in ganz vielen Fabriken und Büros Einzug halten. Und die Aufgaben erledigen, etwa große Datenmengen zu verarbeiten, in denen Maschinen besser sind. Während sich Menschen auf die Tätigkeiten konzentrieren können, die wir den Maschinen voraushaben, also Kreativität oder Intuition.

  • Das Industrial Internet und das klassische Internet bewegen sich aufeinander zu (Consumerization). Das spielt den großen digitalen Plattformen wie Amazon und Alibaba in die Hände – brauchen wir in Europa digitale Plattformen, die es mit den US-amerikanischen und asiatischen Anbietern aufnehmen können oder ist der Zug bereits abgefahren?

Angesichts der Größe, die die „Big Five“ mittlerweile haben, den resultierenden Netzwerkeffekten und den hilflosen aktuellen Versuchen der Politik, die den Status Quo durch Regulation vermutlich eher noch zementieren… ist er das vermutlich!

Die spannende Frage wäre, ob wir stattdessen in Europa (Geschäfts-)Modelle jenseits der Plattformen und Aggregatoren mit ihrer „Winner takes all“-Dynamik finden können. Modelle, mit denen nicht ganz Wenige ganz reich, sondern Viele wohlhabend werden können.

Die räumliche wie ideelle Entfernung vom „Move fast and break things“-Silicon Valley könnte sich dann vielleicht sogar als Vorteil erweisen.

  • Wie bewerten Sie das Potenzial der Blockchain-Technologie mit ihrem betont dezentralen Ansatz – könnte das “die” Basistechnologie für den Mittelstand werden?

Im klassischen Hype-Zyklus nähert sich die Blockchain gerade mit Riesenschritten dem „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ (vgl. Hype Cycle for Blockchain Technologies, Gartner 2017).

Ich denke schon, dass die Technik in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Nachdem das „Tal der Enttäuschungen“ durchschritten ist – aber ob als echte Basis oder nur als weiteres Werkzeug der technologischen Toolbox, dafür ist es für eine verlässliche Aussage noch zu früh.

Crosspost von Econlittera