Mit der Beauftragung von SPRIND zur Entwicklung einer nationalen EUDI-Wallet-Infrastruktur beschreitet Deutschland einen eigenen Weg in der europäischen Identitätspolitik. Das Modell kombiniert staatliche Referenzarchitektur mit Marktöffnung für private Anbieter – eine Konstruktion, deren praktische Implikationen für Unternehmen sich erst im Detail erschließen.
Institutionelle Weichenstellung
Dass das Bundesministerium des Innern die operative Umsetzung nicht an eine klassische Bundesbehörde, sondern an die „bundeseigene Startup-Organisation” SPRIND delegiert hat, ist mehr als ein administratives Detail. Die Entscheidung signalisiert das Eingeständnis, dass konventionelle Verwaltungsstrukturen für iterative, prototypenorientierte Entwicklungsprozesse ungeeignet sind. SPRIND soll bis Ende 2026 nicht nur eine funktionsfähige staatliche Wallet-Applikation liefern, sondern eine komplette Test- und Zertifizierungsinfrastruktur aufbauen, die 2027 in den Regelbetrieb übergeht.
Das Ergebnis ist ein Referenz-Stack, der weit über eine bloße Muster-Implementierung hinausgeht. Er definiert die technischen Protokolle, Kryptoprofile und Compliance-Anforderungen, an denen sich alle anderen Wallet-Varianten messen lassen müssen. Was als Enabler gedacht ist, wird zur Benchmark.
Die Sandbox als Pflichtschleuse
Die neue Sandbox-Umgebung erfüllt eine doppelte Funktion. Oberflächlich betrachtet bietet sie Relying Parties – also Unternehmen und Institutionen, die Wallet-Funktionen in ihre Dienste integrieren wollen – einen geschützten Raum für Tests und Validierung. Bei näherer Betrachtung fungiert sie jedoch als obligatorische Durchgangsstation: Wer EUDI-Wallet-Funktionen in Deutschland produktiv nutzen will, muss seine Implementierung zuvor erfolgreich in dieser Umgebung erproben.
Damit entsteht eine „Bottleneck-Infrastruktur” im wörtlichen Sinn. Der Sandbox-Zugang wird zum Gatekeeper, ohne dessen Passieren kein ernstzunehmender Use-Case skaliert werden kann. Für Unternehmen bedeutet dies eine neue Abhängigkeit von staatlich kontrollierter Infrastruktur, deren Kapazitäten und Priorisierungen sie nicht beeinflussen können.
Regulierter Wettbewerb mit einheitlichem Fundament
SPRIND adressiert explizit ein Multi-Wallet-Szenario. Neben der staatlichen Referenzwallet sollen private Anbieter – von spezialisierten Anbietern wie Lissi, wwWallet, HEIDI oder Animo bis hin zu Plattformunternehmen wie Google und Samsung – eigene Wallets entwickeln und betreiben können. Die Voraussetzung: Einhaltung des technischen und datenschutzrechtlichen Rahmens.
De facto entsteht damit ein Wettbewerb um User Experience und Zusatzfunktionen auf einem standardisierten Fundament. Protokolle wie OpenID4VCI und OpenID4VP, Formate wie SD-JWT und mdoc sowie die grundlegenden Compliance-Anforderungen werden vereinheitlicht. Der Differenzierungsspielraum für Anbieter liegt in der Oberfläche, nicht in der Tiefenarchitektur.
Ob dieses Modell tatsächlich zu einem lebendigen Wettbewerb führt oder die Dominanz weniger großer Plattformanbieter zementiert, bleibt abzuwarten. Die Erfahrung aus anderen digitalen Märkten legt nahe, dass standar…
