Der Übergang von der elektronischen Identifizierung zur digitalen Identität ist bezeichnend für eine breitere Entwicklung hin zur Datafizierung der Identität im Allgemeinen. In dem Maße, wie sich die digitale Identität von den Grenzen der technischen Herausforderungen in Richtung der rechtlichen und soziotechnischen Herausforderungen bewegt, tauchen bereits bestehende Ideologien zur Reform der digitalen Identität mit neuem Enthusiasmus wieder auf. Die selbstverwaltete Identität ist ein repräsentatives Beispiel für diesen Trend. In diesem Beitrag werden die Prinzipien, technologischen Ideen und zugrundeliegenden Ideologien aufgedeckt, die mit selbstverwalteten Identitätsinfrastrukturen verbunden sind und die das Versprechen von Nutzerzentrierung, Selbstverwaltung und individueller Ermächtigung in sich tragen. In Anbetracht des Aufblühens digitaler Identitätsmärkte und des anschließenden institutionellen Interesses auf europäischer Ebene an den techno-sozialen Versprechungen, die diese Identitätsarchitektur mit sich bringt, wird in diesem Beitrag untersucht, wie die Einführung einer EU-weiten selbstverwalteten Identität die bereits bestehenden historischen Machtverhältnisse bei der Konstruktion von Identitätsinfrastrukturen verschiebt.
In diesem Beitrag argumentieren wir, dass die europaweite Übernahme selbstsouveräner Ideale in der Identitätskonstruktion nicht die Defizite behebt, mit denen Identität und Identifikation historisch konfrontiert waren, und dass sie statt der Ermächtigung der Bürger den Einzelnen (eine Kategorie, die weiter gefasst ist als die Bürger) in eine eher verwundbare Position bringt.
Quelle: Digital Identity Infrastructures: a Critical Approach of Self-Sovereign Identity