Von Ralf Keuper
In den Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder belegt Deutschland in den meisten Fällen die vorderen Ränge[1]Daten und Fakten zum deutschen Forschungs- und Innovationssystem. Dennoch mehren sich die Zweifel an der Leistungs- und Zukunftsfähigkeit des deutschen Innovationssystems, wie zuletzt in Gestalt der Kritik an den Fraunhofer-Gesellschaften. Gemessen am Input (Fördergelder) sei der Output (gemessen an erfolgreichen Ausgründungen oder “Sprunginnovationen”) zu gering[2]Die Fassade des makellosen Rufs beginnt zu bröckeln.
Ein nationales Innovationssystem ist ein Netzwerk öffentlicher und privater Institutionen in Staat und Wirtschaft, die gemeinsam das Ziel verfolgen, Innovationen zu initiieren, fördern und verbreiten[3]Innovationssysteme im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs. Heutzutage sind wissens- und datenbasierte Produkte und Dienstleistungen die Treiber der Wirtschaft. Auf diesem Gebiet ist die deutsche Wirtschaft unterrepräsentiert. Die Stärke der deutschen Industrie liegt in den hochwertigen Technologien, z.B. Kraftfahrzeugbau, Chemie und Maschinenbau. Im Bereich der Spitzentechnologien, z.B. EDV, Elektronik und Pharma, rangiert die deutsche Industrie auf den hinteren Plätzen[4]Daten und Fakten zum deutschen Forschungs- und Innovationssystem. Das Land der Dichter und Denker tut sich besonders schwer mit der Herstellung immaterieller Wirtschaftsgüter.
Die digitale Transformation der vergangenen 20 Jahre führte zu einer steigenden Bedeutung immaterieller Produktionsfaktoren. Der Anteil von Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren an der Bruttowertschöpfung stieg zwischen den Jahren 1995 und 2016 in Deutschland und den USA um etwa 2 Prozentpunkte und in Frankreich um etwa 4 Prozentpunkte an. … Trotz des steigenden Anteils von Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren an der Bruttowertschöpfung liegt dieser in Deutschland, insbesondere im Dienstleistungssektor, noch deutlich unter demjenigen in anderen Volkswirtschaften[5]Den Strukturwandel meistern. Jahresgutachten Sachverständigenrat 2019/2020.
Die Fixierung der deutschen Industrie auf die Produktion materieller Güter erweist sich als struktureller und strategischer Nachteil[6]Deutschland in der Strukturkrise. Die Leiden der Industrie. Neue Technologie, wie die Elektromobilität, wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen und besonders leistungsfähige Computerchips (EdgeAI-Chips), setzen der deutschen Industrie zu. Trotz vergleichsweise hoher Aufwendungen für die Forschung haben deutsche Unternehmen und die mit überwiegend öffentlichen Geldern geförderten Forschungsinstitute auf den genannten Feldern entweder den Anschluss verpasst oder einen großen Rückstand.
Problem: Forschungsgesellschaften
Die deutschen außeruniversitären Forschungsgesellschaften wie die Fraunhofer Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und Helmholtz-Gesellschaft sind in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen, ohne dass sich das in Innovationen mit durchschlagender Wirkung bemerkbar gemacht hätte, wenn man mal von MP3 absieht. Das liegt sicherlich auch daran, dass das Geschäftsmodell der Forschungsgesellschaften im Einwerben öffentlicher Fördergelder besteht. Da ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Projekts bzw. danach, ob hier das Rad nicht noch mal erfunden wird, zweitrangig. Nicht selten konkurrieren die verschiedenen Institute einer Forschungsgesellschaft in Projekten untereinander – wie aktuell beim Schaufensterprojekt Sichere Digitale Identitäten. Ganz zu schweigen von den Animositäten der Institute untereinander. Kenner der Szene bemängeln überdies, dass die Forschungsgesellschaften sich zu sehr am Mainstream orientieren, was dazu führt, dass Projekte, die sich irgendwie mit KI beschäftigen, wie Pilze aus dem Boden schießen. Überdies seien in den Instituten überwiegend Forscher tätig, deren Hauptmotivation darin bestehe, möglichst viel zu publizieren; ein Trend, der von dem Personalmanagement der Institute noch gefördert wird. Echte Innovationen, die sich in der Praxis bewähren, d.h. zu marktfähigen Produkten und Prototypen führen, sucht man ebenso vergeblich wie Forscher mit unternehmerischem Instinkt, die nicht nur Ergebnisse auf dem Papier erzielen wollen.
Künstlicher Forschungsdschungel – Verzettelung
An vielen Stellen wird in Projekten an den gleichen Problemen gearbeitet, ohne dass es zu einem Austausch kommt. Das liegt zu weiten Teilen an der dezentralen Forschungslandschaft in Deutschland. Hier kann die Übersicht selbst für Insider schnell verloren gehen: Fraunhofer Gesellschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Gesellschaft, DFG, DLR usw. Ganz abgesehen von den universitären Einrichtungen. Bereits im Jahr 2010 forderten die Autoren von Das deutsche Forschungs- und Innovationssystem Ein internationaler Systemvergleich zur Rolle von Wissenschaft, Interaktionen und Governance für die technologische Leistungsfähigkeit die Forschungsaktivitäten zu bündeln.
Die horizontale Koordination zwischen Politikfeldern und Ministerien sollte gestärkt werden. Die Beispiele von Koordinationsräten auf höchster Ebene, bei denen die Beteiligung auf Premierminister-Ebene ein Beitrag dafür ist, dass regierungsweite Prioritäten in die FTI-Politik einfließen, könnte die Entwicklung von Programmen und Koordinationsaktivitäten über Grenzen einzelner Ministerien oder bestimmte Technologien hinweg unterstützen. Eine einfachere Lösung könnte sein, agenturübergreifende Initiativen, wie die Nano-technology Initiative der USA, oder abteilungsübergreifende Task-Forces einzurichten.
Die Einrichtung einer zentralen Innovationsagentur hätte nach Ansicht der Autoren mehrere Vorteile, darunter:
Klare organisatorische Teilung zwischen Einheiten, die bestimmte Programme implementieren, und den Einheiten, die deren Evaluation übernehmen. Es werden organisatorische Einheiten gebraucht, die bewerten, ob Programme noch ihr Ziel erfüllen und ob diese Ziele angesichts der aktuellen politischen Fragen immer noch relevant sind.
Mit der Agentur zur Förderung für Sprunginnovationen (SprinD) geht die Bundesregierung einen kleinen Schritt weit in die beschriebene Richtung. In ihrem Gutachten 2020 bezieht die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) zur Aufgabenstellung von SprinD klar Position:
Die Expertenkommission vertritt nachdrücklich die Auffassung, dass die Geschäftsleitung ein Höchstmaß an Unabhängigkeit von politischer Steuerung und Ressortdenken erhalten und vor allem die thematische Ausrichtung der SprinD GmbH selbst bestimmen sollte.
Einen nicht unterschätzenden Anteil an der Entstehung des Forschungsdschungels und der Verzettelung haben neben den Forschungsinstituten die diversen Beratungshäuser und natürlich auch die Unternehmen.
GAIA-X
Zu dem mit viel Vorschusslorbeer bedachten Dateninfrastruktur-Projekt GAIA-X äußert sich die Expertenkommission eher zurückhaltend optimistisch.
Die mit der geplanten Dateninfrastruktur GAIA-X intendierten Effekte können nach Einschätzung der Expertenkommission nur dann erzielt werden, wenn GAIA-X rasch realisiert wird, ein kritisches Mindestmaß an Kapazität aufweist und eine hohe Nutzerfreundlichkeit gewährleistet.
Bislang ist für Außenstehende nicht zu erkennen, ob und inwieweit bei GAIA-X die genannten Kriterien erfüllt werden. Die Erfahrungen in der Vergangenheit mit vergleichbaren Projekten legen eine gewisse Skepsis nahe.
Deutschlands Rolle in der Datenökonomie
Die Volkswirtschaft, die in Zukunft in der Lage ist, die meisten Daten zu produzieren, auszuwerten und in neue Produkte und Dienstleistungen zu transformieren, wird sich an die Spitze setzen. So ließe sich der Tenor des Beitrags Which Countries Are Leading the Data Economy? zusammenfassen. Künftig werde man die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft an dem Gross Data Product (GDP) messen. Damit die Volkswirtschaft große Mengen an Daten produzieren und auswerten und wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückleiten kann, ist eine entsprechende Infrastruktur erfolgsentscheidend. Der Breitbandausbau ist daher von hoher Bedeutung. Deutschland belegt unter den Datenökonomien lediglich den 13. Platz[7]Deutschlands Rolle in der Datenökonomie.
Gemeinsame Datenräume
In letzter Zeit werden Forderungen nach dem Aufbau branchenbezogener, sektorenübergreifender und europäischer Datenräume[8]Rechtsrahmen für europäische Datenräumelauter. Entscheidend sei der Zugang zu den Daten und deren Nutzung, so Viktor Meyer-Schönberger und Thomas Ramge in ihrem neuen Buch Machtmaschinen.
Die Stärken der deutschen Wirtschaft und des Innovationssystems werden u.a. in der Technologie-Roadmap „Next Generation“ Elektronische Komponenten und Systeme deutlich. Beispielhaft dafür ist die Mikrosystemtechnik. Weniger günstig sieht es dagegen in der Batterie- und Chipherstellung aus. Bei den Batterien ist vor allem Tesla ein Innovationsführer, bei den Chips der neuen Generation sind es Nvidia, Intel und Apple. Apple ist, so wie Tesla, bestrebt, bei den Kerntechnologien – wie den Computerchips[9]Apple debuts M1, the first in a family of Mac-specific ARM processors – unabhängig(er) zu werden. Mit der geplanten Übernahme von ARM wird Nvidia auf dem Markt für AI-Chips eine dominierende Rolle übernehmen[10]Nvidia/ARM: Auf dem Weg zum neuen Computing-Paradigma (Edge-AI).
Bei den Schlüsseltechnologien ist Deutschland eher schlecht aufgestellt. Die Frage ist nun, welche Defizite des deutschen Innovationssystems diesen Zustand herbeigeführt haben. Wie kann es sein, dass ein Land mit einer – an sich – so leistungsfähigen Forschungslandschaft auf so vielen wichtigen Feldern den Anschluss verpasst hat oder sich einen fast uneinholbaren Rückstand eingehandelt hat? Mehr Forschung wie bisher wird daher an dem Zustand wenig zum Besseren ändern – im Gegenteil.
Zuerst erschienen auf Econlittera
References