Mobile Führerscheine werden in den USA zum Standard, während Europa noch über digitale Identitäts-Wallets debattiert. Die Geschwindigkeit täuscht: Bürgerrechtsorganisationen warnen vor mangelndem Datenschutz und Vendor Lock-in. Umgekehrt droht der europäische Ansatz an seiner eigenen Gründlichkeit zu scheitern. Verschärft wird das Dilemma dadurch, dass die europäische Privatwirtschaft die strategische Bedeutung digitaler Identität fundamental unterschätzt hat. Das Problem ist strukturell – und unvermeidbar.
Die OpenID Foundation hat im November 2025 zwei Papiere veröffentlicht[1]Open ID Foundation publishes papers on standardizing US mDLs as verifiable credentials, die auf den ersten Blick wie ein technisches Detail wirken: Standards für die Nutzung mobiler Führerscheine (mDL) in der Finanzindustrie, damit Banken ihre Know-Your-Customer-Pflichten erfüllen können. Doch was hier als pragmatische Lösung präsentiert wird, offenbart ein grundsätzliches Problem der Governance digitaler Infrastrukturen. Denn während amerikanische Behörden und Standardisierungsorganisationen Fakten schaffen, warnen Bürgerrechtsgruppen vor übereilten Entscheidungen. Und während Europa einen demokratisch legitimierten Prozess für digitale Identitäts-Wallets durchläuft, überholt die Realität längst die Regulierung.
Der mobile Führerschein nach ISO/IEC 18013-5 wurde ursprünglich für einen spezifischen Anwendungsfall entwickelt: die Offline-Prüfung durch Polizeibeamte am Straßenrand. Ein begrenztes, klar definiertes Problem mit klaren technischen Anforderungen. Doch Standards haben die Tendenz, ihren ursprünglichen Kontext zu überwachsen. Was als digitaler Ersatz des Plastikkärtchens gedacht war, wird nun zum Baustein eines umfassenden Systems digitaler Identitätsnachweise. Die Transportbehörde TSA will mDLs an Flughäfen akzeptieren, Finanzinstitute sollen sie für Kontoeröffnungen nutzen können, und Apple hat mDL in sein Wallet integriert. Der Führerschein wird zum Template für digitale Identität überhaupt.
Die INATBA Identity Working Group hat in einer vergleichenden Analyse die Unterschiede zwischen mDL und dem konkurrierenden Ansatz der Self-Sovereign Identity auf Basis des W3C Verifiable Credential Data Model herausgearbeitet. Ihr Befund ist ernüchternd: Beide Ansätze werden wahrscheinlich nebeneinander existiere…
References
