Wenn Unternehmen untereinander Daten und Informationen austauschen, dann geschieht das häufig auf Basis einer langjährigen Geschäftsbeziehung. Mit neuen noch unbekannten Geschäftspartnern ist man diesbezüglich zurückhaltender. Die Blockchain-Technologie könnte diese Vertrauenslücke schließen und darüber hinaus die Koordination zwischen den Unternehmen vereinfachen und die Effizienz steigern, was vor allem für den Mittelstand von großer Bedeutung ist. Die Abhängigkeit von zentralen Plattformen, wie Amazon, könnte dadurch verringert bzw. vermieden werden. Dieses Ziel zu verwirklichen, hat sich das evan.network auf die Fahnen geschrieben. Im Gespräch mit Banking on Things erläutert Thomas Müller (Foto), Sprecher des evan.network, welche Anwendungsfälle sich schon heute mit dem evan.network abbilden lassen und welche Rolle Digitale Zwillinge dabei übernehmen.
Herr Müller, was genau macht das evan.network und welche Funktion üben Sie dort aus?
Das evan.network ist eine Business Blockchain und ermöglicht die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsvorgängen auf Basis von digitalen Zwillingen. Ich persönlich agiere als Sprecher der evan.network organization und bin sozusagen die Stimme des ersten unternehmensübergreifenden öffentlichen Blockchain-Netzwerks. Außerdem habe ich das evan.network gemeinsam mit zwei anderen Gründern ins Leben gerufen und bin als CEO der evan GmbH für die strategische Weiterentwicklung und die Marktplatzierung des evan.network verantwortlich.
Warum ist der Einsatz der Blockchain-Technologie für den Datenaustausch zwischen Unternehmen sinnvoll – geht es nicht auch mit bereits bestehenden Datenbanktechnologien?
Natürlich kann ich Daten auch über Datenbanken austauschen. Die Frage ist jedoch: Wer kontrolliert die Datenbank? Insbesondere, wenn viele verschiedene Partner zusammenarbeiten, die sich untereinander nicht kennen, stellt sich die Frage, wer die Datenbank betreibt und inwiefern man diesem Akteur vertrauen kann. Die Rolle des „Datenbank-Betreibers” übernehmen heute deshalb häufig Plattformen, die als Intermediäre agieren und aufgrund ihrer starken Marktstellung und -bekanntheit Vertrauen stiften. Allerdings hat das für angeschlossene Anbieter den Nachteil, dass eine Informationsasymmetrie entsteht und der Plattformbetreiber mit jeder einzelnen Transaktion an Marktmacht gewinnt. Mit der Blockchain-Technologie wird es jetzt erstmals möglich, Informationen digital verfügbar und teilbar zu machen, ohne dass dafür eine zentrale Instanz notwendig ist.
Welche Geschäftsprozesse können mit dem evan.network unterstützt werden?
Eigentlich geht es um alle Business-Prozesse zwischen Unternehmen. Wir fokussieren aber vor allem auf die Bereiche, in denen Unternehmen freie Kapazitäten anbieten oder Partner-Kapazitäten in eigene Prozesse einbinden, um ihren Kunden dadurch bessere Angebote machen zu können. Zum Beispiel können Vermieter und Hersteller von Baumaschinen ihre Maschinen digital verfügbar machen und ihre Kapazitäten viel effizienter einsetzen – oder eben an Partner-Unternehmen vermieten.
Das ist eigentlich genau das, was wir heute unter Sharing Economy verstehen. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass bei uns die einzelnen Unternehmen selbst die Regeln der Zusammenarbeit bestimmen und nicht zentrale Plattform-Anbieter, wie wir es von den großen B2C-Plattformen wie Amazon, Uber oder Airbnb kennen.
Was unterscheidet das evan.network von anderen vergleichbaren Blockchain-Lösungen?
Zunächst einmal haben wir konkrete Anwendungsfälle im evan.network und damit eine Marktreife, die uns von anderen Lösungen unterscheidet. Das liegt vor allem daran, dass das evan.network mehr als nur eine Blockchain-Technologie ist. Wir bieten für eine dezentrale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen wesentliche Services, wie die notarielle Verifikation von Unternehmen, die Möglichkeit zur einfachen Digitalisierung von Produkten mittels digitaler Zwillinge sowie die Möglichkeit der sicheren Ablage von Daten.
Neben den Funktionalitäten des evan.network macht uns jedoch vor allem unsere Organisationsstruktur besonders. Wir können nämlich mit Stolz sagen, dass das evan.network das erste unternehmensübergreifende öffentliche Blockchain-Netzwerk ist, das mit der evan.network organization als reale Organisationsform existiert. An der entsprechenden Satzung haben wir gemeinsam mit Rechtsform-Experten mehrere Monate intensiv gearbeitet, um bisher nicht existente Anforderungen an eine dezentrale virtuelle Organisation zu lösen. Aber nun haben wir einen Weg gefunden, um in Zukunft Schritt für Schritt alle wahrzunehmenden Steuerungs- und Kontroll-Aufgaben im evan.network zunehmend von der evan GmbH auf die Netzwerkorganisation zu übertragen. Das ermöglicht eine neutrale Verwaltung im gemeinsamen Interesse aller Netzwerk-Mitglieder.
Wie wird die Integrität der Objekte und Unternehmen sichergestellt?
Bei der Digitalisierung jeglicher Business-Transaktionen ist das Vertrauen eine Schlüsselfrage. Man kennt das aus dem privaten Bereich, wenn man zum Beispiel ein Ticket für ein ausverkauftes Konzert ergattern will – ist das Ticket echt? Gibt es den Verkäufer tatsächlich?
Im evan.network haben wir jedoch einen Weg gefunden, das Vertrauen aus der realen Welt in die digitale zu übertragen – und das ganz ohne zentrale „Vertrauenswarte” wie Plattformen. Zum einen können Unternehmen durch einen Notar die Echtheit ihres Accounts bestätigen lassen. Der Notar erstellt eine entsprechende Urkunde, die eine Verknüpfung zwischen einer digitalen Identität im evan.network und einem in der realen Welt existierenden Unternehmen bestätigt. Diese Urkunde ist bei Bedarf von anderen Netzwerk-Mitgliedern einsehbar und schafft im evan.network sozusagen ein Grundvertrauen. Außerdem können darauf aufbauend verlässliche Sub-Verifikationen von zugehörigen Maschinen, Produkten oder Mitarbeitern ausgestellt werden.
Mit welchen Partnern arbeiten Sie zusammen – gibt es gemeinsame Projekte?
Wir schaffen ein dezentrales System für die Kooperation von Unternehmen im IoT-Zeitalter. Das erfordert Zusammenarbeit und Partnerschaft in nahezu allen Bereichen.
Zunächst sind da die Mitglieder des Netzwerkes. Das sind in erster Linie Unternehmen, die in ihrer Branche die Zusammenarbeit digital abbilden wollen. Hier kooperieren wir zur Zeit mit einer Vielzahl von Unternehmen. Die bekanntesten sind dabei Daimler Mobility mit der Mobility Blockchain Platform, KiK mit einer Lösung für transparente Lieferketten, die COBILITY Initiative der Transportlogistik mit Unternehmen wie der R&V-Versicherung oder auch die Initiative de:rental von verschiedenen Baumaschinen-Vermietern.
Darüber hinaus gibt es natürlich auch die Netzwerk-Partner, also Unternehmen, die einen Knoten im Blockchain-Netzwerk betreiben. Das sind neben den bereits genannten Unternehmen auch Systemintegratoren, die das evan.network nutzen, um neuartige Lösungen für ihre Kunden zu erstellen.
Last but not least sind für uns Technologie- und Serviceprovider wichtige Kooperationspartner, um für Nutzer einen Ende-zu-Ende IoT-Plattform-Stack abzubilden. Hier haben wir Partnerschaften zu Unternehmen wie BlockchainHelix für KYC und Human Identities, Slock.it für die Kommunikation mit IoT Devices oder Streamr für das IoT-Datastreaming. Gemeinsam ist es unser Ziel, eine vollständige Lösung für digitale Kooperation ohne zentralen Mittelsmann zu schaffen.
In welchen Branchen kann die Blockchain den größten Nutzen stiften oder ist das letztlich nur eine Frage der Effizienzsteigerung und damit branchenübergreifend?
Blockchain ist besonders dann sinnvoll, wenn Unternehmen miteinander kooperieren und diese Transaktionen digital, dezentral und fälschungssicher abbilden wollen – das ist eigentlich branchenunabhängig. Wir fokussieren uns zunächst auf Branchen, in denen Unternehmen Ressourcen bereits gemeinsam nutzen oder erstellen und für die zentrale Plattform-Modelle bisher aus Angst vor einem Autonomie-Verlust nicht infrage kamen. Bei der Initiative de:rental schließen sich beispielsweise Baumaschinen-Vermieter zusammen, um auf Basis des evan.networks die Vermietprozesse zu digitalisieren und effizienter zu machen. Das entscheidende Kriterium für evan.network war hierbei letztlich das Argument, dass die Unternehmen sich dabei eben nicht von einem zentralen Anbieter abhängig machen.
Welche Hürden gilt es in der Praxis noch zu nehmen bzw. wo liegen die Probleme: Mehr auf der technischen (Skalierung) oder der organisatorischen (Mindset) Ebene?
Blockchain ist ja nach wie vor eine vergleichsweise junge Technologie, vor allem wenn man Blockchain nicht als reine Möglichkeit zum Transfer digitalisierter Werte sieht, sondern als Grundlage einer B2B2C-Kooperationsplattform. Die naheliegendsten Fragen sind dabei immer Skalierbarkeit und Performance, das sehe ich aber nicht als das kritischste Thema. Essenzieller sind Fragen, wie das Vertrauen aus der realen Welt in eine digitale Welt übertragen werden kann, ohne einen Intermediär als vertrauensstiftende Instanz in eine Machtposition zu bringen. Technisch ist das lösbar. Die organisatorischen und legalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist jedoch noch immer ein großes Thema, also die Governance. Damit sind wir auch beim Kern der eigentlichen Herausforderung: Kooperation unter Wahrung der Dezentralität erfordert von den beteiligten Akteuren ein großes Umdenken. Und es bedarf neuer Rechts- und Organisationsstrukturen, an denen wir gemeinsam mit unseren Partnern unter Hochdruck arbeiten.
In welchem Stadium befindet sich Ihrer Ansicht nach der Markt für Blockchain-Lösungen in fünf Jahren?
Rein technologisch wird es große Entwicklungen in Bezug auf wichtige Themen wie Performance, einfache Nutzbarkeit und vor allem auch das Schlüsselmanagement geben, das was für die Wahrung von Anonymität und Sicherheit zentral ist. Viel interessanter finde ich aber die Folgen dieser Weiterentwicklung. Wir sprechen ja diesbezüglich von Web3, also einer neuen Generation des Internets, womit sich nahezu alle Belange der Gesellschaft digitalisieren lassen, ohne dass wir dabei in eine Abhängigkeit von Plattformonopolen geraten. Da wird gerade viel Grundlagenarbeit geleistet. Und in fünf Jahren wird sich die Digitalisierung und Kooperation unter Nutzung von neutralen Plattformen dann etabliert haben. Das lässt nicht nur ganz viele neue Geschäftsmodelle entstehen, sondern wird auch unsere Gesellschaft verändern. Ich denke, dass wir uns dann rückblickend wahrscheinlich fragen werden: Wie konnten solche Daten-Monopole denn überhaupt entstehen?
Herr Müller, besten Dank für das Gespräch!
Vielen Dank auch meinerseits.
Zuerst erschienen auf Banking on Things